Sieh nach den Sternen, gib acht auf die Gassen. Dieser Buchtitel der Biografie des evangelischen Theologen Jörg Zink könnte die Persönlichkeit und Tätigkeiten von Schwester Maria Paola und Schwester Benedicta-Maria nicht besser beschreiben. Schwester Benedicta-Maria ist eher die Visionärin, die nach den Sternen greift und die Vision lebendig hält. Schwester Maria Paola ist die Strategin, deren Stärken besonders bei der Umsetzung ins Spiel kommen. Bei allen Unterschieden haben sie immer dasselbe Ziel und viele Gemeinsamkeiten: Beide sind Barmherzige Schwestern vom heiligen Kreuz in Hegne und beide sind Jahrgang 1954 – tatsächlich trennt sie nur eine Woche Altersunterschied.
Schwester Benedicta-Maria war bis 2018 Provinzoberin und ist nun Vorständin der Stiftung Kloster Hegne. Schwester Maria Paola ist ihre Nachfolgerin an der Spitze der Ordensgemeinschaft. Beide ergänzen sich perfekt, wie wir im Doppelinterview schnell merken.
Wir sprechen heute über den aktuellen Transformationsprozess, den Sie als Ordensgemeinschaft durchlaufen haben. Aber im Grunde transformieren Sie sich innerhalb des Ordens schon seit Jahrzehnten – sei es, weil Provinzen aufgelöst werden oder Werke neu ausgerichtet werden. Teilen Sie diese Einschätzung?
Schwester Benedicta-Maria: Ich denke, dass das auf unseren Ordensgründer Pater Theodosius Florentini zurückzuführen ist. Sein Credo war: „Das Bedürfnis der Zeit ist der Wille Gottes.“ So hatte er schon zu seiner Zeit viele Visionen und Ideen, die er einfach umgesetzt hat. So ist unsere Ordensgemeinschaft schon von Beginn an von Wandel und stetiger Erneuerung geprägt.
Wenn wir beispielsweise merken, dass es in der Gesellschaft zu wenig Erzieherinnen und Erzieher gibt, dann gründen wir einfach eine Erzieherschule, auch wenn es vielleicht Baumaßnahmen nach sich zieht. „Bei uns ist alles immer in Bewegung“, sagen wir in der Ordensgemeinschaft häufig. Manchmal konnte ich den Satz schon nicht mehr hören, weil das eine ungeheure Herausforderung für alle Beteiligten ist.
Lassen Sie uns gerne über den letzten Transformationsprozess sprechen, der in die Stiftungsgründung mündete. Wie kam es dazu?
Schwester Benedicta-Maria: Der Anfang wurde 2013 beim Provinzkapitel gemacht, das sinnigerweise unter dem Motto „Ziehe Kraft aus deinen Wurzeln, finde Halt im Grund, der trägt, schau zurück an deinen Ursprung, doch nach vorne geht der Weg“ stand. Im Sinn dieses Verses haben wir geschaut, wo Gott uns hinführt. Damals haben wir nüchtern auf unseren Altersdurchschnitt geschaut, der bei 74 Jahren lag. Heute ist er bei über 80 Jahren. Wir haben die Zahlen hochgerechnet und eine Standortbestimmung gemacht. Unsere Mitarbeiterzahl ist stetig gewachsen und die Anzahl der Schwestern hat sich laufend verringert.
Natürlich hätten wir beispielsweise die Schule oder das Altenpflegeheim anderen Trägern übergeben können, aber wir haben festgestellt, dass hier im Kloster Hegne im Laufe der 125 Jahre ein ganz besonderer Ort gewachsen ist. Es war unsere gemeinsame Vision, Kloster Hegne als geprägten Ort zu erhalten. Das Charisma unseres Ordens ist geprägt von Pflege, Beherbergung und Erziehung und diese Aufgaben warten genau hier auf uns. Wir konnten doch nicht einfach sagen, dass uns das alles nichts mehr angeht? Das war unser Plus und gewissermaßen auch unser Verhängnis. Wir wussten, wir wollen diesen Ort hier erhalten, aber wie, das war die spannende Frage.
Wie sind Sie nach dieser Erkenntnis weiter vorgegangen?
Schwester Benedicta-Maria: Wir haben uns Unterstützung geholt: zum einen von Herrn Käter und seiner Gesellschaft Lernen neu erleben (LNE), die Profis auf dem Gebiet Führungskräftetraining und Teamentwicklung sind. Zum anderen von Elsbeth Caspar, einer katholischen Theologin und Supervisorin aus der Schweiz. Wir haben den Organisationsentwickler und die Theologin mehr oder weniger vor die vollendete Tatsache gestellt, dass sie als Team für uns arbeiten. Das war die richtige Entscheidung, denn beide Sichtweisen haben sich richtig gut ergänzt. Eine Theologin dabei zu haben, war für uns wichtig. Alle Sitzungen haben mit unserem Stiftungsgebet und einem Gespräch über eine Bibelstelle begonnen. Unsere älteren Mitschwestern haben den Prozess im Gebet mitgetragen. Ich glaube daran, dass die Vision, die wir entwickelt haben, schon von Gott geführt war. Wir sind jedoch verantwortlich, zu hören und zu schauen, ob die Vision wirtschaftlich sinnvoll und machbar ist. Ich bin auf alle Fälle dankbar, dass auch die Organisationsentwickler diesen geistlichen Prozess so mitgegangen sind.
Schwester Maria Paola: Kennen Sie den Stern von Bethlehem? Diesen Stern mit einem Schweif? Bildlich gesprochen war unsere Vision wie zwei Sterne mit Schweif, die nebeneinander leuchten und zusammengehören: das weltliche Team und wir Schwestern! Kloster Hegne als geprägter Ort, an dem Gottes Liebe sichtbar wird. Außerdem wollen wir ja attraktiver Arbeitgeber für die Region sein. Die Frage war nur: Wie können wir unser Charisma an unsere Mitarbeiterschaft vermitteln und es für die Zukunft transformieren? Wir hatten zwar ein Leitbild, das wir neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mitgegeben haben, aber das reicht ja bei Weitem nicht aus, um unsere Werte zu erhalten und durch die Mitarbeitenden in die Zukunft zu tragen.
Schwester Benedicta-Maria: Uns war wichtig, dass wir alle bei diesem Prozess mitnehmen. Wir haben dann eine Kick-off-Veranstaltung gemacht und unserer Mitarbeiterschaft von der Vision des geprägten Ortes erzählt. Daraus hat sich ein Steuerungskreis aus Provinzleitung, den weltlichen Leitungen der verschiedenen Werke und unserem Beraterteam gebildet. Zusätzlich zur Steuergruppe haben wir noch verschiedene Projektgruppen gebildet. Es gab die Projektgruppen Spirituelle Angebote, Ressource Mitarbeiter, Ressource Ordensgemeinschaft und Kommunikation. Letztere hat beispielsweise das Intranet aufgebaut. Über dieses Tool konnten wir alle über den Organisationsentwicklungsprozess auf dem Laufenden halten. Dann hatten wir unzählige Klausuren, in denen sich diese Vision geschärft hat. Von der Idee der Vision im Jahr 2013 bis zur Stiftungsgründung im Jahr 2018 hat es fünf Jahre gedauert.
Schwester Maria Paola: Ja, das war eine unglaublich intensive Zeit. In allen Klausuren und Treffen ist es aber nicht immer nur harmonisch zugegangen. Das darf ich Ihnen schon verraten!
Wie hat sich der Prozess in der Steuergruppe gestaltet?
Schwester Benedicta-Maria: Gemeinsam mit dem Organisationsentwickler und der Theologin haben wir den Hegne WerteKompass für Führung und Teamarbeit entwickelt. Wir hatten zwar aus früheren Jahren schon ein Leitbild, aber die Begriffe waren für unser weltliches Mitarbeiterteam nicht mehr passend. Wir wollten eine neue Sprache finden für das, was uns wichtig ist. Das ist uns mit dem WerteKompass gelungen. In erlebnispädagogischen Übungen haben Schwestern der Provinzleitung und Werksleiter zusammen erlebt, erfahren und reflektiert, was uns allen hier an diesem Ort wichtig ist. Es haben sich vier Werte herauskristallisiert, die für Kloster Hegne stehen: Verantwortung, Miteinander, Vertrauen und Offenheit.
Schwester Maria Paola: Sie merken ja, wie begeistert Schwester Benedicta-Maria als die Visionärin von uns beiden berichtet, da brauche ich gar nicht viel dazu sagen.
Schwester Benedicta-Maria: (lacht) Ich kann auch still sein. Du bist einfach die Strategin von uns beiden! Ich glaube, dass wir uns gerade durch unsere Unterschiedlichkeit richtig gut ergänzen. Aber zurück zum WerteKompass, der in dem Prozess entstanden ist. Ich finde, dass er eine perfekte Zusammenfassung dessen ist, was unsere Ordensgründer vorgelebt haben.
Schwester Maria Paola: So haben wir Stück für Stück unser Charisma in die Zukunft übersetzt. Ich bin zufrieden, wie uns das mit dem WerteKompass gelungen ist.
Schwester Benedicta-Maria: Nachdem die Steuergruppe den WerteKompass entwickelt hatte, wurde er in vielen Schulungen an die Leitungskräfte und an alle 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergegeben. Es sollte deutlich werden, was die Werte für die Einzelnen bedeuten. Was bedeutet der Wert Vertrauen oder Verantwortung für mich, wenn ich in der Spülküche, am Empfang im Hotel bin oder als Altenpflegerin arbeite? Die Trainings haben über zwei Jahre gedauert, denn das reguläre Tagesgeschäft ist ja weitergegangen. Wir Schwestern haben die Einheiten natürlich mit durchlaufen, weil wir ja beständig am Lernen und Entwickeln sind.
Schwester Maria Paola: Ja, und das hört ja nie auf. Wir bekommen laufend neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den WerteKompass noch nicht kennen. Da ist die jetzige Situation mit Corona sehr schwierig. Normalerweise gehen wir in den Wald, machen erlebnispädagogische Übungen und vermitteln am konkreten Erleben unsere Werte. Ich merke richtig, dass das fehlt. Im Alltag bin ich gefragt, dass die Werte lebendig bleiben und weitergegeben werden. Ich sage es immer so: Unsere Mitarbeiterschaft trägt kein Ordensgewand, muss uns aber verstehen.
Schwester Benedicta-Maria: Wenn ich ehrlich bin, mag ich uns gar nicht als Best Practice bezeichnen, weil dieser ganze Prozess sehr anstrengend, schwierig und auch mit Widerstand verbunden war. Sie können sich sicher vorstellen, dass die Mitschwestern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganz unterschiedlich auf so eine Transformation reagieren. Ein Teil ist offen dafür, andere sind skeptisch und wieder andere sind eher abgeneigt. Also es läuft nicht alles immer nur gut. Die Entwicklung des WerteKompass war die eine Seite, aber wir wollten ja, wie unser Leitsatz sagt „Spirituell fundiert, fachlich kompetent und wirtschaftlich gesichert Zukunft gestalten“. Da ist uns klar geworden, dass wir strukturell etwas ändern müssen, um unsere Vision umzusetzen. Unser Ziel war, dass die Werke eigenständig sind und dass die Kommunikation und die Führungsebenen klar geregelt sind.
Wie ist das gelungen?
Schwester Maria Paola: Im Jahr 2016 haben wir auf Leitungsebene gemerkt, dass wir eine andere Rechtsform finden wollen. Wollten wir. Aber dann war die Frage, welche? Wollen wir einen Verein gründen oder eine Stiftung?
Schwester Benedicta-Maria: Wir haben dann einen Wirtschaftsprüfer engagiert und Vor- und Nachteile einer Stiftung abgewogen. Natürlich haben wir auch auf andere Klöster geschaut, wie andere Ordensgemeinschaften die Transformation meistern.
Schwester Maria Paola: Innerhalb der Gemeinschaft kamen Fragen auf wie: Dürfen wir Schwestern dann einfach noch ins Hotel gehen, wenn es der Stiftung gehört? Darf ich noch in den Park, wenn er eingestiftet ist? Viele ältere Schwestern waren da verunsichert. Dennoch haben wir eine kirchliche Stiftung bürgerlichen Rechts gegründet.
Warum haben Sie sich für eine eigene Stiftung entschieden?
Schwester Maria Paola: (lacht) Daran ist der Kaninchenzuchtverein schuld.
Wie bitte?
Schwester Maria Paola: Wenn ich einen Verein habe, der Kaninchen züchtet, und in 50 Jahren entscheidet die Mitgliedschaft, dass sie nun aber Hühner züchten wollen, ist es nicht sonderlich schwierig, die Satzung zu ändern. Wir wollten aber, dass unser Auftrag über die Zeit weiter besteht und – wie wir sagen – zukunftselastisch ist. Für uns war deswegen die Gründung einer eigenen Stiftung die beste Möglichkeit. In unserer Stiftungssatzung steht nicht, dass unsere Schulen in 60 Jahren noch genauso existieren müssen. Das können wir ja gar nicht abschätzen, was dann das Bedürfnis der Zeit ist. Was wir aber wissen, ist: Unser Auftrag wird immer Bildung, Beherbergung und Pflege in den Mittelpunkt stellen. Diesen Sendungsauftrag haben wir in der Stiftungssatzung festgehalten.
Sie sind ja als Ordensgemeinschaft eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Was ist nun aber genau in die Stiftung übergegangen?
Schwester Maria Paola: Wir haben bisher das Marianum und das Hotel eingestiftet, aber nur die Betriebe. Wir haben uns bewusst für einen langsamen Prozess entschieden. Grund und Boden haben wir also vorerst nicht eingestiftet, sondern Kapital für die Stiftungsgründung. Es war zwar schon die Überlegung, ob wir die Gebäude in die Stiftung überführen und Grund und Boden behalten, aber wir haben uns erst einmal für diese Variante entschieden. Das hat vordergründig rein steuerliche Gründe. Die Europäische Union arbeitet gerade an einem neuen Gesetzesentwurf, aber momentan fallen hohe Steuern an, wenn wir Gebäude einstiften. Solange wir Schwestern hier vor Ort sind, wird es die Körperschaft öffentlichen Rechts geben. Das heißt aber auch, dass wir noch einige wichtige Fragen klären müssen.
Was bedeutet das beispielsweise, wenn nur die Betriebe und nicht die Gebäude eingestiftet sind?
Schwester Maria Paola: Sehen Sie die Baustelle bei der Schule? Die Schule zahlt die Pacht für das Gebäude an uns (Körperschaft öffentlichen Rechts), wir bauen und zahlen den Umbau. Wir, sprich unsere Kongregation, sind auch für alle Instandhaltungen der Gebäude zuständig.
Wie kann sich so die Stiftung tragen?
Schwester Maria Paola: Wir haben einen Grundstock an Kapital und einen Verbrauchsstock. Der Grundstock darf nicht angegriffen werden, der Verbrauchsstock jedoch schon. Da kann die Stiftung entscheiden, dass sie zu einem bestimmten Zweck Geld entnimmt und es wieder zurücklegt, wenn wieder Einnahmen, beispielsweise durch Zinsen, da sind. Die Schulen und das Hotel funktionieren als eigenständige Betriebe und tragen sich wirtschaftlich selbst. Bei der Theodosius Akademie ist das etwas anders, da sie, kaum gegründet, wegen Corona erst einmal wieder schließen musste. Hier haben wir noch keinen Vergleich, was in einem normalen Jahr finanziell möglich ist. Große Sprünge sind aber mit einem Bildungshaus nicht zu machen. Hier denken wir auch über Fundraising-Projekte nach.
Schwester Benedicta-Maria: Früher haben wir die Bildungsangebote aus der Ordensgemeinschaft finanziert, aber jetzt würde es auf die Stiftung schlagen. Da müssen wir sehen, wie sich das entwickelt. Wir haben durch unsere Bildungsangebote der Welt viel zu geben und können unsere Erfahrungen zur Verfügung stellen. Hier ist es an der Zeit, starke Partner zu finden, die das Projekt mittragen.
Welche Unterstützung haben Sie hierbei aus der Politik und wie war diese im ganzen Transformationsprozess?
Schwester Maria Paola: Die Gemeinde steht hinter uns und wir haben einen sehr guten Kontakt zum Bundestagsabgeordneten unserer Region. Vielleicht sollten wir in Bezug auf die Regionalpolitik noch aktiver werden. Ich denke auch, dass wir durch die Stiftungsgründung noch ein anderes Gewicht in der Gesellschaft bekommen. Immerhin sind wir damit der zweitgrößte Arbeitgeber der Region.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Prozess der Stiftungsgründung und der Transformation bisher?
Schwester Benedicta-Maria: Ich bin zufrieden und dankbar, weil es ein Weg in die richtige Richtung ist, aber ich weiß, dass noch viel zu tun ist. Wir wollen weiter auf das Bedürfnis der Zeit achten und Menschen niederschwellige Angebote machen, mit Gott und seiner Liebe in Berührung zu kommen. Neue Wege zu den Menschen zu suchen, das ist unser Auftrag. Über kurz oder lang steht natürlich die Entscheidung an, was wir mit unserem Grund und Boden machen. Aber darüber sprechen wir dann das nächste Mal!
Schwester Maria Paola: Wir haben einige Häuser, die bald leer werden, weil einige Schwestern in unser Provinzhaus oder Altenpflegeheim umziehen. Für diese Häuser wollen wir eine neue Verwendung finden. Hierbei ist das Thema bezahlbarer Wohnraum sehr im Blick. Und schauen Sie sich um: Wir erweitern gerade wieder den Schulcampus, um jungen Menschen eine gute Bildung zu ermöglichen. Uns im Kloster Hegne wird es noch lange nicht langweilig werden!